"Echte Reformimpulse sehen anders aus"
Träger- und Kassenverbände kritisieren den Zwischenbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform der Pflegeversicherung vor allem als vage: Es fehlten eine klare Richtung und konkrete Vorschläge, zu viel werde auf die lange Bank geschoben. Zwar findet der Fokus auf Prävention und sektorenübergreifendes Handeln Zustimmung, doch viele Fragen – etwa zur Entlastung der Pflegeeinrichtungen, zu Eigenanteilen oder zur Schaffung neuer Pflegeplätze – blieben offen.
AOK/Marcus Brodt
Für Pflegebedürftige soll auch das Leistungsrecht vereinfacht werden, das begrüßt vor allem der BKK Dachverband
Der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) spricht von einer Reform, die "auf die lange Bank geschoben" werde. Prüfaufträge und vage Finanzierungszusagen würden keine Versorgung sichern. "Paragrafen sortieren und Begutachtungen umschreiben – so wird der Zukunftspakt Pflege die Versorgung nicht sichern", heißt es. Auch die Ruhrgebietskonferenz Pflege zeigt sich enttäuscht: "Dafür hat man seit Juli zusammengesessen? Das sind nur grobe Richtungsentscheidungen. Das kann doch nicht alles gewesen sein!? Echte Reformimpulse sehen anders aus." Es fehle der Mut, Strukturen zu verändern.
Lob für angestrebte Begrenzung der Eigenanteile
Die Eigenanteile sind ein zentrales Thema im Zwischenbericht. Der Paritätische Gesamtverband fordert eine verbindliche Begrenzung, um Pflegebedürftige und Angehörige spürbar zu entlasten. Auch die Johanniter-Unfall-Hilfe begrüßt, dass die Bund-Länder-Gruppe an einer Begrenzung arbeitet.
Erwartbare Kritik kommt dagegen vom Verband der privaten Krankenversicherung (PKV). Die vorgeschlagenen Konzepte führten zu Mehrausgaben, die "nicht finanzierbar" seien. Eine Dynamisierung der Leistungen im Umlageverfahren oder ein "Pflegedeckel" würden Beitrags- und Steuerzahler überlasten. Der Verband der Ersatzkassen (Vdek) mahnt zudem schnelle Entscheidungen zur Finanzstabilisierung der Sozialen Pflegeversicherung an.
Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) sieht die stationäre Pflege zu Unrecht als Kostentreiber dargestellt. "Konkrete Vorschläge zur Personalsicherung oder wirtschaftlichen Stabilität der Einrichtungen fehlen völlig", heißt es.
"Einrichtungsseite kommt viel zu kurz"
Die Ruhrgebietskonferenz Pflege kritisiert, dass die Praxis nicht eingebunden wurde. "Der Zwischenbericht zeigt, was rauskommt, wenn die Praxis nicht beteiligt wird", sagt Sprecher Ulrich Christofczik. Am Ende müssten die Einrichtungen die politischen Entscheidungen im Alltag umsetzen, ohne mitbestimmen zu können.
Auch der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB) bemängelt, die Einrichtungsseite komme "viel zu kurz". Pflegebetriebe benötigten mehr unternehmerische Freiheit und Flexibilität und weniger Bürokratie. Innovationen und neue Versorgungsformen blieben im Bericht unerwähnt.
Daumen hoch bei Prävention und sektorenübergreifende Ansätze
Positiv bewerten viele Verbände die stärkere Betonung der Prävention. Der BKK Dachverband begrüßt, dass Pflegebedürftigkeit künftig aktiv hinausgezögert werden soll – besonders im Pflegegrad 1. "Mit der Stärkung der Prävention wird endlich ein längst überfälliges Signal gesetzt", heißt es. Auch der AOK-Bundesverband sieht darin einen wichtigen Schritt: Die Verhinderung der Pflegebedürftigkeit sei "entscheidend für die Lebensqualität" und die Stabilität des Systems.
Gleichzeitig erkennen mehrere Akteure Fortschritte beim sektorenübergreifenden Denken. Die Johanniter-Unfall-Hilfe nennt den Prüfauftrag zur Ausgestaltung von Leistungsbudgets bis 2027 "grundsätzlich richtig", mahnt aber eine schnellere Umsetzung an. Der Vdek fordert, die geplanten sektorenunabhängigen Budgets rasch zu konkretisieren.
Fehlende Antworten auf den Pflegeplätze-Mangel
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die unzureichende Planung neuer Pflegeplätze. Der AGVP verweist darauf, dass die Vorschläge offenlassen, wie mehr Kapazitäten geschaffen werden sollen. Während vieles bis 2026 oder 2027 vertagt werde, "füllen sich die Wartelisten für einen Pflegeplatz".
Auch der VDAB warnt, die bisherigen Überlegungen zur Bündelung von Leistungen steckten "noch in den Kinderschuhen". Ohne klare Konzepte werde es schwierig, den steigenden Bedarf zu decken.
Der Bund-Länder-AG bleiben nur noch zwei Monate
Viele Verbände fordern, die nächsten Schritte zügig zu konkretisieren und Betroffene, vor allem die Träger, einzubeziehen. Anderenfalls drohe die Reform erneut in Prüfaufträgen zu verharren.
Die Ruhrgebietskonferenz Pflege fasst die Stimmung zusammen: Kein Rotstift, aber auch kein Aufbruch – ein weiterer Zwischenbericht ohne Richtung.
Die Bund-Länder-AG soll ihre Beratungen im Dezember abschließen. Die AG Versorgung wird bis dahin auch Kernthemen wie Prävention, Datenlage, Innovation, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz angehen, die AG Finanzierung soll die einnahme- und ausgabeseitigen Stellschrauben prüfen.